Rechtsanwalt Peter Schwab

Rechtsanwaltskanzlei Peter Schwab

Entscheidungen zum Arzthaftungsrecht


Nachfolgend finden Sie eine Zusammenstellung höchstrichterlicher Entscheidungen mit Fundstellen aus allgemein zugänglichen Quellen (Pressemitteilungen, Fachzeitschriften), die Ihr Interesse finden könnten:

Unterlassene Prüfung von Behandlungsunterlagen lässt Verjährungsfrist nicht beginnen

(BGH, Urteil vom 26.05.2020 - VI ZR 186/17):
Die regelmäßige dreijährige Verjährungsfrist nach § 195 BGB wird mangels grob fahrlässiger Unkenntnis von den den Anspruch begründenden Umständen im Sinne von § 199 I Nr. 2 Alt. 2 BGB grundsätzlich nicht schon dann in Lauf gesetzt, wenn es der Geschädigte oder sein Wissensvertreter unterlässt, Krankenhausunterlagen auf ärztliche Behandlungsfehler hin zu überprüfen.

Patient hat Recht auf unentgeltliche erste Kopie der Patientenakte

(EuGH, Urteil vom 26.10.2023 - C-307/22):
Patienten haben nach der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) einen Anspruch darauf, eine kostenlose Kopie ihrer Patientenakte zu erhalten. Dies gilt nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für die erste Kopie. Die Kosten für weitere Kopien dürften Ärzte ihren Patienten in Rechnung stellen.
Die Ärzte seien als Verantwortliche für die Verarbeitung der personenbezogenen Daten ihrer Patienten anzusehen. Selbst mit Blick auf den Schutz ihrer wirtschaftlichen Interessen seien abweichende nationale Regelungen unionsrechtswidrig.
Der Anspruch der Patientinnen und Patienten erstreckt sich laut EuGH auf sämtliche Dokumente in der Patientenakte, die zum Verständnis der enthaltenen personenbezogenen Daten erforderlich sind, wie etwa Diagnosen, Untersuchungsergebnisse und Angaben zu Behandlungen oder Eingriffen.

Zur Anhörung des Patienten im Arzthaftungsprozess bei vorgetragenem Entscheidungskonflikt

(BGH, Beschluss vom 21.06.2022, Az. VI ZR 310/21):
Das erstinstanzliche Gericht muss einen Patienten grundsätzlich persönlich dazu anhören, ob er sich bei ausreichender Aufklärung über einen Eingriff für dessen Vornahme entschieden hätte, und ob er in einen Entscheidungskonflikt geraten wäre. Das Gericht soll durch die persönliche Anhörung die Motive des Patienten verstehen und sich einen persönlichen Eindruck von ihm verschaffen können.

Zur Haftung wegen eines Aufklärungsfehlers

(OLG Dresden, Hinweisbeschluss vom 17.03.2022, Az. 4 U 1481/21):
Die Haftung wegen eines Aufklärungsfehlers setzt voraus, dass der Patient den Nachweis erbringt, dass der Schaden auf den nicht von der Einwilligung gedeckten und somit rechtswidrigen Teil einer Operation zurückzuführen ist.

Behandlungsfehler nicht schon bei Unterschreiten eines "Goldstandards"

(OLG Dresden, Urteil vom 31.08.2021, Az. 4 U 1221/20):
Ein Behandlungsfehler setzt einen Verstoß gegen den maßgeblichen Behandlungsstandard voraus, der zur Erreichung des Behandlungszieles erforderlich ist, wobei auf den durchschnittlichen qualifizierten Arzt der jeweiligen Fachrichtung abzustellen ist. Auf ein Unterschreiben eines "Goldstandards" kann ein Fehlervorwurf nicht gestützt werden.
Ein solcher „Goldstandard“ ist im Behandlungsverhältnis nicht geschuldet. Geschuldet wird vielmehr die Einhaltung der zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden, allgemein anerkannten fachlichen Standards. Das ist der jeweilige Stand der naturwissenschaftlichen Erkenntnis einerseits und ärztlichen Erfahrung andererseits auf dem betreffenden Fachgebiet der zur Erreichung des jeweiligen Behandlungszieles erforderlich ist und sich in der Erprobung bewährt hat

50.000 € Schmerzensgeld für eine 70-jährige Patientin nach Befunderhebungsfehler

(Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 22.12.2020, Az. 8 U 142/18):
Verstirbt eine 70-jährige Patientin an einer zu spät erkannten Krebserkrankung, sind für die Bemessung des Schmerzensgeldes in besonderem Maße einerseits ihr Leidensweg, insbesondere die Heftigkeit und Dauer der Schmerzen, maßgeblich und andererseits ihr Alter und ihre familiäre Situation, die Rückschlüsse auf die erlittenen Lebensbeeinträchtigungen zulassen. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main sprach auf dieser Grundlage ein Schmerzensgeld in Höhe von 50.000,00 € zu.
Der Kläger machte für seine verstorbene Ehefrau Schmerzensgeld gegen den behandelnden Arzt geltend. Die Patientin war im Herbst 2010 wegen undefinierbarer Schmerzen in einem bereits geschwollenen rechten Oberschenkel in die orthopädische Fachpraxis des Beklagten überwiesen worden. Dort wurden im Oktober lediglich ein Hämatom diagnostiziert und Schmerzmittel verordnet. Erst Ende November veranlasste der Beklagte eine MRT-Untersuchung. Jetzt wurde ein Tumor diagnostiziert, der im Dezember reseziert wurde. Nachdem bereits im Februar 2011 eine Metastase gefunden worden war, konnte der Krebs nicht mehr eingedämmt werden. Die Patientin verstarb im August 2012.
Das Landgericht Gießen hatte ein Schmerzensgeld in Höhe von 30.000 € zugesprochen. Auf die hiergegen eingelegte Berufung verurteilte das OLG den Beklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 50.000 €. Der Beklagte hafte für die durch sein Fehlverhalten entstandenen Schäden, da er die Erhebung medizinisch gebotener Befunde unterlassen habe. Der Tumor hätte gemäß den Angaben des Sachverständigen bereits Ende Oktober erkannt werden können. Bei einer um einen Monat früheren Diagnose wäre die statistische Prognose der Patientin um 10-20 % besser gewesen.
Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig; gegen sie wurde Nichtzulassungsbeschwerde beim BGH eingelegt. (Pressemitteilung OLG Frankfurt vom 02.03.2021)

Verjährungsbeginn in Arzthaftungssache

(BGH, Urt. v. 26.05.2020 – VI ZR 186/17):
Ansprüche auf Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen Verletzung des Körpers oder der Gesundheit verjähren in drei Jahren ab dem Schluss des Jahres ihrer Entstehung und Kenntnis oder grob fahrlässiger Unkenntnis des Gläubigers von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners (§ 199 Abs. 1 BGB), ohne diese Kenntnis in dreißig Jahren ab Begehung der Handlung (§ 199 Abs. 2 BGB). Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis im Sinne von § 199 BGB liegen nicht schon dann vor, wenn dem Patienten lediglich der negative Ausgang der Behandlung bekannt ist. Er muss vielmehr auch auf einen Behandlungsfehler als dessen Ursache schließen können. Für den Anspruchsteller besteht keine generelle Obliegenheit, Eigeninitiative zur Klärung von Schadenshergang oder Person des Schädigers zu entfalten. Das Unterlassen einer Nachfrage ist nur dann als grob fahrlässig einzustufen, wenn weitere Umstände hinzutreten, die das Unterlassen aus der Sicht eines verständigen Geschädigten als unverständlich erscheinen lassen. Es müssen konkrete Anhaltspunkte für das Bestehen eines Anspruchs ersichtlich sein und sich der Verdacht einer möglichen Schädigung aufdrängen. Nur dann kann die Verjährungsfrist schon zu dem Zeitpunkt anlaufen, wenn die Klärung des Schadenshergangs unterlassen wird. Eine Informationspflicht trifft den Geschädigten oder seinen Anwalt im Allgemeinen nicht. Sie sind nicht verpflichtet, sich medizinisches Fachwissen anzueignen.

Verletzung ärztlicher Aufklärungspflichten

(BGH, Urteil vom 28. Mai 2019 - VI ZR 27/17):
Haben sich bei einem mangels ordnungsgemäßer Aufklärung rechtswidrigen ärztlichen Eingriff nur Risiken verwirklicht, über die nicht aufzuklären war, kommt ein Wegfall der Haftung des Arztes für Aufklärungsversäumnisse lediglich dann in Betracht, wenn der Patient wenigstens eine Grundaufklärung über die Art und den Schweregrad des Eingriffs erhalten hat; das gilt auch dann, wenn das realisierte - nicht aufklärungspflichtige - Risiko mit den nicht realisierten - aufklärungspflichtigen - Risiken nach Bedeutung und Auswirkung für den Patienten nicht vergleichbar ist.

Haftung für "Schockschaden" nach ärztlichem Behandlungsfehler

(BGH, Urteil vom 21.05.2019, Az. VI ZR 299/17):
Die zum sog. Schockschaden entwickelten Grundsätze sind auch in dem Fall anzuwenden, in dem das haftungsbegründende Ereignis kein Unfallereignis im eigentlichen Sinne, sondern eine fehlerhafte ärztliche Behandlung ist. Eine Rechtfertigung dafür, die Ersatzfähigkeit von "Schockschäden" im Falle ärztlicher Behandlungsfehler weiter einzuschränken als im Falle von Unfallereignissen, besteht grundsätzlich nicht.
Im zugrunde liegenden Fall hatte eine Ehefrau geltend gemacht, sie habe massive psychische Beeinträchtigungen in Form eines depressiven Syndroms mit ausgeprägten psychosomatischen Beschwerden und Angstzuständen erlitten, weil ihr Ehemann wegen eines groben Behandlungsfehlers mehrere Wochen in akuter Lebensgefahr geschwebt habe.

Gutachten einer medizinischen Schlichtungsstelle im Arzthaftungsprozess

(BGH, Beschluss vom 12. März 2019 - VI ZR 278/18):
Das Gutachten einer medizinischen Schlichtungsstelle kann im Arzthaftungsprozess im Wege des Urkundenbeweises gewürdigt werden. Dies führt aber weder zu einer Erhöhung der Darlegungslast des Patienten noch ist das Schlichtungsgutachten auf Beweisebene geeignet, den Sachverständigenbeweis zu ersetzen.

Keine Informationspflicht hinsichtlich des günstigsten Prozessfinanzierers

(Oberlandesgericht Köln, Beschluss vom 05.11.2018, Az. 5 U 33/18):
Der Rechtsanwalt muss seinen Mandanten (hier im Hinblick auf eine arzthaftungsrechtliche Streitigkeit) zwar grundsätzlich auf die Möglichkeit einer Prozessfinanzierung durch einen Prozessfinanzierer hinweisen, jedoch nicht (jedenfalls nicht ohne entsprechenden Auftrag) prüfen und darüber informieren, welcher Prozessfinanzierer für den Mandanten besonders günstig ist. Von einem Rechtsanwalt kann nicht ohne gesonderten Auftrag erwartet werden, dass er umfangreiche Marktrecherchen betreibt und mehrere Prozessfinanzierer kontaktiert.

Darlegungslast im Arzthaftungsprozess

(BGH, Urteil v. 19.02.2019, Az. VI ZR 505/17):
Im Arzthaftungsprozess wird die erweiterte - sekundäre - Darlegungslast der Behandlungsseite ausgelöst, wenn die primäre Darlegung des Konfliktstoffs durch den Patienten den insoweit geltenden maßvollen Anforderungen genügt und die Vermutung eines fehlerhaften Verhaltens der Behandlungsseite aufgrund der Folgen für ihn gestattet, während es dieser möglich und zumutbar ist, den Sachverhalt näher aufzuklären.
Letzteres wird bei der Behauptung eines Hygieneverstoßes regelmäßig der Fall sein.

Wegfall des Honoraranspruchs bei Nutzlosigkeit zahnärztlich-implantologischer Leistung

(Bundesgerichtshof, Urteil vom 13.09.2018, Az. III ZR 294/16):
Bei einer schuldhaften Fehlleistung des Arztes hat der Patient einen Anspruch auf Schadensersatz. Ist die fehlerhafte Leistung des Arztes für den Patienten ohne Interesse und völlig unbrauchbar, besteht der (Mindest-)Schaden des Patienten darin, dass er für eine im Ergebnis unbrauchbare ärztliche Behandlung eine Vergütung zahlen soll. In diesem Fall ist der Schadensersatzanspruch unmittelbar auf Befreiung von der Vergütungspflicht gerichtet ist, wenn weder der Patient noch seine Versicherung bereits bezahlt haben.
Fehlerhaft eingesetzte Implantate sind objektiv und subjektiv völlig wertlos im Sinne des § 628 Abs. 1 Satz 2 Fall 2 BGB, wenn es keine dem Patienten zumutbare Behandlungsvariante gibt, die zu einem wenigstens im Wesentlichen den Regeln der zahnärztlichen Kunst entsprechenden Zustand hinreichend sicher führen könnte. Der Umstand, dass der Patient einzelne Implantate als Notmaßnahme zur Vermeidung eines eventuell noch größeren Übels weiterverwendet, ändert nichts an der völligen Unbrauchbarkeit der zahnärztlichen Leistung und dem Entfallen der Vergütungspflicht insgesamt.

Anspruch des Patienten auf Unterrichtung über Befunde und Prognosen

(BGH, Urteil vom 26.06.2018, Az. VI ZR 285/17):
Der Arzt hat sicherzustellen, dass der Patient von Arztbriefen mit bedrohlichen Befunden und ggf. von der angeratenen Behandlung Kenntnis erhält, auch wenn diese nach einem etwaigen Ende des Behandlungsvertrags bei ihm eingehen. Der Arzt, der als einziger eine solche Information bekommt, muss den Informationsfluss aufrecht erhalten, wenn sich aus der Information selbst nicht eindeutig ergibt, dass der Patient oder der diesen weiter behandelnde Arzt sie ebenfalls erhalten hat.

Schmerzensgeldbemessung bei Schwerstbehinderung und Zerstörung der Persönlichkeit

(OLG Frankfurt/Main, Urteil vom 31.01.2017 - 8 U 155/16):
Der immaterielle Schaden, der durch einen ärztlichen Behandlungsfehler entstanden ist, kann bei schwersten körperlichen Dauerschäden und Zerstörung der Persönlichkeit ein Schmerzensgeld in Höhe von 560.000 Euro rechtfertigen. Bei dem Kläger des entschiedenen Falles wurde die nach einem Unfall erforderliche Diagnostik zu spät durchgeführt, so dass dieser in der Folge eines Schädel-Hirn-Traumas schwerste körperliche und geistige Schäden erlitt. Er wird lebenslang „rund um die Uhr“ pflegebedürftig bleiben. Der Kläger war zur Zeit des ihm durch ärztliche Behandlungsfehler zugefügten körperlichen und seelischen Leides mit nicht reversiblen, schweren Behinderungen 21 Jahre alt. Seine Lebensperspektive ist infolge seiner geistigen und körperlichen Behinderung vollständig zerstört; ihm ist jede Chance auf ein weiteres selbstbestimmtes Leben genommen. Mit der Zuerkennung eines derart hohen Schmerzensgeldkapitalbetrags wird das in Schmerzensgeldtabellen angelegte allgemeine Entschädigungsgefüge im Sinne eines allmählich steigenden Schmerzensgeldniveaus fortgeschrieben.

Schadensersatz wegen ärztlicher Behandlungs- und Aufklärungsfehler – Verjährung

(BGH, Urteil vom 08.11.2016 – VI ZR 594/15):
Ansprüche wegen Behandlungsfehlern können zu anderen Zeiten verjähren, als solche aus Aufklärungsversäumnissen.

Die Hemmung der Verjährung bei Verhandlungen endet auch durch deren Einschlafen. Das ist der Zeitpunkt, zu dem spätestens eine Erklärung der jeweils anderen Seite (Gläubiger oder Schuldner) zu erwarten gewesen wäre.

Informations- und Substanziierungspflichten im Arzthaftungsprozess

(BGH, Beschluss vom 01.03.2016 - VI ZR 49/15):
An die Informations- und Substanziierungspflichten der Partei im Arzthaftungsprozess dürfen nur maßvolle Anforderungen gestellt werden. Der Patient und sein Prozessbevollmächtigter sind insbesondere nicht verpflichtet, sich zur ordnungsgemäßen Prozessführung medizinisches Fachwissen anzueignen.

Absehen von ärztlicher Maßnahme als Behandlungsfehler

(BGH, Beschluss vom 22.12.2015 – VI ZR 67/15):
Das Absehen von einer ärztlichen Maßnahme ist nicht erst dann behandlungsfehlerhaft, wenn die Maßnahme zwingend geboten ist, sondern bereits dann, wenn ihr Unterbleiben dem im Zeitpunkt der Behandlung bestehenden medizinischen Standard zuwiderlief.

Einwilligung in zahnärztlichen Eingriff nach Aufklärung während Behandlungsunterbrechung

(LG Memmingen, Urteil vom 24.02.2015 – 21 O 1336/13):
1. Die Wirksamkeit der Einwilligung eines gesetzlich versicherten Patienten in eine Behandlung (hier: Zahnextraktion), zu der es eine medizinisch mindestens gleichwertige, jedoch durch Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung nicht abgedeckte Behandlungsalternative gibt (hier: Wurzelkanalbehandlung), setzt voraus, dass er über diese Alternativmöglichkeit rechtzeitig informiert war.

2. Nimmt ein Arzt oder Zahnarzt statt einer dem fachärztlichen Standard entsprechenden, aber nur privat liquidierbaren Behandlung eine Behandlung "nur" auf dem Niveau kassenärztlicher Versorgung vor, so liegt hierin jedenfalls dann, wenn die Kosten einer privatärztlichen Behandlung voraussichtlich nicht bezahlt werden, keine schuldhaft fehlerhafte Behandlung vor.

Anforderungen an die Darlegung eines Behandlungsfehlers

(OLG Naumburg, Urteil vom 8.12.2014 – 1 U 34/14):
1. Liegt im Arzthaftungsprozess bereits ein Sachverständigengutachten vor, das einen Behandlungsfehler verneint und nach dem sich ein dem Eingriff innewohnendes nicht voll beherrschbares Risiko verwirklicht hat, trifft den Patienten eine gewisse Substanziierungslast. Er muss sich mit dem Gutachten auseinandersetzen und konkrete Behandlungsfehler des Arztes mindestens im Groben bezeichnen.

2. Allein die Unterzeichnung eines Aufklärungsbogens durch den Patienten beweist für sich allein nicht, ob der Patient ihn gelesen und verstanden hat, oder dass der Inhalt mit ihm erörtert wurde. Deshalb sind bei Bestreiten angebotene Beweise für das stattgefundene Aufklärungsgespräch und dessen Inhalt zu erheben.

Haftung des nicht selbst operierenden Arztes wegen fehlerhafter Aufklärung

(BGH, Urteil vom 21.10.2014, Az. VI ZR 14/14):
Auch derjenige Arzt, der einen Patienten lediglich über den von einem anderen Arzt angeratenen und durchzuführenden Eingriff aufklärt, kann dem Patienten im Falle einer fehlerhaften oder unzureichenden Aufklärung aus unerlaubter Handlung haften.

Würdigung einander widersprechender medizinischer Gutachten im Arzthaftungsprozess

(BGH, Urteil vom 11.11.2014, Az. VI ZR 76/13):
In Arzthaftungsprozessen hat das Gericht die Pflicht, Widersprüchen zwischen Äußerungen mehrerer Sachverständiger von Amts wegen nachzugehen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen, auch wenn es sich um Privatgutachten handelt.

Legt eine Partei ein medizinisches Gutachten vor, das im Gegensatz zu den Erkenntnissen des gerichtlich bestellten Sachverständigen steht, so darf der Tatrichter den Streit der Sachverständigen nicht dadurch entscheiden, dass er ohne nachvollziehbare Begründung einem von ihnen den Vorzug gibt.

Das Fehlen der Dokumentation einer aufzeichnungspflichtigen Maßnahme begründet die Vermutung, dass die Maßnahme unterblieben ist. Diese Vermutung entfällt weder deshalb, weil in der Praxis mitunter der Pflicht zur Dokumentation nicht nachgekommen wird, noch deshalb weil die Dokumentation insgesamt lückenhaft ist.

Aufklärung über alternative Behandlungsmethoden

(BGH, Beschluss vom 17.12.2013, Az. VI ZR 230/12):
Zwar ist die Wahl der Behandlungsmethode in erster Linie Sache des Arztes, doch gebietet es das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, diesen über alternative Behandlungsmöglichkeiten zu unterrichten, wenn für eine medizinisch sinnvolle und indizierte Therapie mehrere gleichwertige Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, die zu unterschiedlichen Belastungen des Patienten führen oder verschiedene Risiken und Erfolgschancen bieten.

Anforderungen an den Nachweis einer durchgeführten ärztlichen Risikoaufklärung

(BGH, Urteil vom 28.01.2014, Az. VI ZR 143/13):
Das Gericht darf seine Überzeugungsbildung über die Frage einer tatsächlich erfolgten ärztlichen Risikoaufklärung auf die Angaben des Arztes stützen, wenn seine Darstellung in sich schlüssig und „einiger“ Beweis für ein Aufklärungsgespräch erbracht ist. Das gilt auch dann, wenn der Arzt erklärt, ihm sei das streitige Aufklärungsgespräch nicht im Gedächtnis geblieben. Das unterzeichnete Einwilligungsformular ist ein Indiz für den Inhalt des Aufklärungsgesprächs.

Haftung für Gesundheitsschäden auf Grund eines ärztlichen Befunderhebungsfehlers

(BGH, Urteil vom 05.11.2013, Az. VI ZR 527/12):
Grundsätzlich hat der Patient den Ursachenzusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler und dem geltend gemachten Gesundheitsschaden zu beweisen. Wenn bereits die Unterlassung einer aus medizinischer Sicht gebotenen Befunderhebung einen groben ärztlichen Fehler darstellt, erfolgt eine Beweislastumkehr hinsichtlich der haftungsbegründenden Kausalität (Ursächlichkeit des Behandlungsfehlers für die Rechtsgutsverletzung/den primären Gesundheitsschaden [nach dem strengen Beweismaß des § 286 ZPO zu bestimmen], im Gegensatz zur haftungsausfüllenden Kausalität [Ursächlichkeit der Rechtsgutsverletzung für alle weiteren Folgeschäden], bei der eine überwiegende Wahrscheinlichkeit gem. § 287 ZPO genügen kann). Eine Umkehr der Beweislast hinsichtlich der Kausalität des Behandlungsfehlers für den eingetretenen Gesundheitsschaden ist auch dann möglich, wenn sich bei der gebotenen Abklärung der Symptome mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein so gravierender Befund ergeben hätte, dass sich dessen Verkennung als fundamentaler Fehler oder die Nichtreaktion darauf als grob fehlerhaft darstellen würde und dieser Fehler generell geeignet ist, den tatsächlich eingetretenen Gesundheitsschaden herbeizuführen.

Bindung des Berufungsgerichts an die Feststellungen der Vorinstanz

(BGH, Beschluss vom 02.07.2013, Az. VI ZR 110/13):
Anhaltspunkte, die die Bindung des Berufungsgerichts an die erstinstanzlichen Feststellungen entfallen lassen, können sich aus Fehlern ergeben, die dem Eingangsgericht bei der Feststellung des Sachverhalts unterlaufen sind. Das gilt auch für Tatsachenfeststellungen, die auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens getroffen wurden. Erkennbar widersprüchliche Gutachten sind keine ausreichende Grundlage für die Überzeugungsbildung des Gerichts. Mangelnde Mitwirkung des Patienten bei einer medizinisch gebotenen Behandlung schließt einen Behandlungsfehler grundsätzlich aus. Das gilt nicht, wenn der Patient über das Risiko der Nichtbehandlung nicht ausreichend aufgeklärt wurde.

Zum Beweismaß im Arzthaftungsprozess

(BGH, Urteil vom 16.04.2013, Az. VI ZR 44/12):
Für einen Schadensersatzanspruch wegen eines Behandlungsfehlers bedarf es keiner absoluten oder unumstößlichen Gewissheit im Sinne eines wissenschaftlichen Nachweises. Es reicht ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit aus, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen. Beim Vorliegen eines ausreichenden Maßes von Gewissheit kann der Arzt dem Patienten nicht entgegen halten, der Operationsbericht enthalte keine Anhaltspunkte für einen schuldhaften Behandlungsfehler.

Grund der Beweislastumkehr bei einem groben Behandlungsfehler

(BGH, Urteil vom 19.06.2012 – Az. VI ZR 77/11):
Grundsätzlich hat der Patient den Ursachenzusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler und dem geltend gemachten Gesundheitsschaden zu beweisen. Die Umkehr der Beweislast im Falle eines groben Behandlungsfehlers hat ihren Grund darin, dass das Spektrum der für den Misserfolg der ärztlichen Behandlung in Betracht kommenden Ursachen gerade wegen der elementaren Bedeutung des Fehlers in besonderem Maße verbreitert bzw. verschoben worden ist. Es entspricht deshalb der Billigkeit, die durch den Fehler in das Geschehen hineingetragene Aufklärungserschwernis nicht dem Geschädigten anzulasten. Für die Billigkeitserwägungen bleibt dann kein Raum, wenn feststeht, dass nicht die dem Arzt zum groben Fehler gereichende Verkennung eines Risikos schadensursächlich geworden ist, sondern allenfalls ein in derselben Behandlungsentscheidung zum Ausdruck gekommener, aber nicht schwerwiegender Verstoß gegen weitere ärztliche Sorgfaltspflichten.

Kriterien für die Qualifizierung eines Behandlungsfehlers als "grob"

(BGH, Urt. v. 20.09.2011 - Az. VI ZR 55/09):
Gesicherte medizinische Erkenntnisse, deren Missachtung einen Behandlungsfehler als grob erscheinen lassen kann, sind nicht nur die Erkenntnisse, die Eingang in Leitlinien, Richtlinien oder anderweitige ausdrückliche Handlungsanweisungen gefunden haben. Hierzu zählen vielmehr auch die elementaren medizinischen Grundregeln, die im jeweiligen Fachgebiet vorausgesetzt werden (amtlicher Leitsatz).

Zulässigkeit einer telefonischen Aufklärung des Patienten

(BGH, Urteil vom 15.06.2010 - Az. VI ZR 204/09):
In einfach gelagerten Fällen kann der Arzt den Patienten grundsätzlich auch in einem telefonischen Gespräch über die Risiken eines bevorstehenden Eingriffs aufklären, wenn der Patient damit einverstanden ist.

Beschränkung der Einwilligung in ärztlichen Eingriff auf bestimmten Arzt

(BGH, Urteil vom 11.05.2010 - VI ZR 252/08):
Will ein Patient, abweichend von den Grundsätzen des totalen Krankenhausaufnahmevertrags seine Einwilligung in einen ärztlichen Eingriff auf einen bestimmten Arzt beschränken, muss er seinen entsprechenden Willen eindeutig zum Ausdruck bringen. Hiervon ist die Situation zu unterscheiden, dass der Patient auf Grund eines Zusatzvertrages Wahlleistungen, insbesondere die so genannte Chefarztbehandlung, in Anspruch nimmt. In diesen Fällen ist der Arzt gegenüber dem Patienten aus einer ausdrücklichen Wahlleistungsvereinbarung verpflichtet und muss seine Leistungen gemäß § 613 Satz 1 BGB grundsätzlich selbst erbringen.

Umkehr der Beweislast bei grobem Behandlungsfehler

(BGH, Urteil vom 29.09.2009 - VI ZR 251/08, Leitsatz des Gerichts):
Für die Beweislastumkehr hinsichtlich des Ursachenzusammenhangs zwischen ärztlichem Fehler und Gesundheitsschaden reicht es aus, dass die Unterlassung einer aus medizinischer Sicht gebotenen Befunderhebung einen groben ärztlichen Fehler darstellt. Das Unterlassen der gebotenen Therapie ist im Falle der Nichterhebung medizinisch gebotener Befunde nicht Voraussetzung für die Annahme eines groben Behandlungsfehlers mit der Folge der Beweislastumkehr zugunsten des Patienten.

Schmerzensgeldbemessung bei Geburtsschaden

(OLG Zweibrücken, Urteil vom 22.04.2008 - 4 O 204/05):
Der immaterielle Schaden, der durch einen groben ärztlichen Behandlungsfehler bei der Geburt eines Kindes entstanden ist, kann bei schwersten Schäden unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Entwicklung und veränderter allgemeiner Wertvorstellungen einen Schmerzensgeldkapitalbetrag in Höhe von 500.000 Euro zuzüglich Schmerzensgeldrente monatlich 500 Euro rechtfertigen. Der Kläger des entschiedenen Falles befand sich mit 12 Jahren auf dem Entwicklungsstand eines wenige Monate alten Kindes mit zahlreichen Behinderungen. Er ist nahezu blind, kann weder stehen, gehen noch mit den Händen greifen. Er kann nur breiige Nahrung über eine Ernährungssonde zu sich nehmen. Infolge der Hirnschädigung treten epileptische Anfälle auf. Die Höhe des Schmerzensgeldes kann mit dem Umfang der Beeinträchtigungen und der daraus folgenden Hilflosigkeit begründet werden. Es ist zu einer weitgehenden Zerstörung der Persönlichkeit des Klägers gekommen.

Arzthaftung bei Behandlung mit in der Zulassungsphase befindlichem Medikament

(BGH, Urteil vom 27.03.2007 - VI ZR 55/05):
Der Arzt, der eine neue und noch nicht allgemein eingeführte Behandlung mit einem neuen, noch nicht zugelassenen Medikament mit ungeklärten Risiken anwenden will, hat den Patienten nicht nur über die noch fehlende Zulassung, sondern auch darüber aufzuklären, dass unbekannte Risiken derzeit nicht auszuschließen sind. Dies ist erforderlich, um den Patienten in die Lage zu versetzen, für sich sorgfältig abzuwägen, ob er sich nach der herkömmlichen Methode mit bekannten Risiken behandeln lassen möchte oder nach der neuen Methode unter besonderer Berücksichtigung der in Aussicht gestellten Vorteile und der noch nicht in jeder Hinsicht bekannten Gefahren.

Umkehr der Beweislast bei grobem Behandlungsfehler

(Bundesgerichtshof [BGH], Urteil vom 27.04.2004 - VI ZR 34/03):
Der Patient hat nach den allgemeinen prozessualen Beweislastregeln zwar grundsätzlich einen Behandlungsfehler des Arztes nachzuweisen. Begeht der Arzt aber schuldhaft einen groben Behandlungsfehler, der geeignet ist, einen Schaden der tatsächlich eingetretenen Art herbeizuführen, führt dies zu einer Umkehr der objektiven Beweislast für den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler und dem Gesundheitsschaden.

 

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